Einleitung für die geschichtliche Einordnung

Als die Hauptwallung der Völkerwanderungen in den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung sich zu klären und zu beruhigen anfing, und der Sächsische Kriegsbund das nördliche Deutschland, zwischen Elbe und Rhein in einem, wenn auch mit losen Banden zusammengeknüpften Reiche inne hatte, fiel seinem und der am Mittel-Rhein sesshaften Franken gemeinschaftlichem Angriff das dazwischen gelegene Thüringische Reich sehr bald') zum Opfer, und nun beginnt ein fast ununterbrochenes Drängen und Kämpfen der Sieger gegen einander, das mit wechselndem' Glück fast drei Jahrhunderte erfüllt.  Schon im Laufe des 6ten Jahrhunderts, als Alboin, der Longobarden König, und mit ihm ein 'starkes Sachsen-Heer nach Italien zog und dort ein neues Reich gerundete, verpflanzte König Sigibert I. Schwäbische Familien in die von den Sachsen geräumten Gegenden zwischen dem Harz, der Bode und Saale, und wussten diese sich auch gegen die umwohnenden und die aus Italien zurückkehrenden Sachsen zu halten.") Zur Zeit des Verfalle der Merovingischen Dynastie herrschte vergleichsweise ein besseres Einverständnis zwischen beiden Volksstimmen, obgleich schon Karl Martell und Pipin der Kurze einzelne den Franken angrenzende Sachsenstämme, wenigstens zeitenweis, Tribut zu zahlen zwangen.  Erst Karl dem Grossen gelang es, nach mehr als dreissigjährigem fast ununterbrochen geführtem Kriege, voll der blutigsten Gräuel, der Franken Herrschaft in den Sächsischen Landen zwischen Weser und Elbe anerkannt zu sehen') und mit der Schneide Fränkischen Schwertes die heidnischen Sachsen in Schaaren zur Taufe zu
treiben.  Des Hasses der Unterworfenen gewiss, zwangen die Sieger Tausende der einflussreichsten Eingeborenen das Land zu verlassen, und sich in Gallien und im Süden Deutschlands anzusiedeln; an ihre Stellen rückten geistliche Stifte und die Fränkischen Edelleute, welche mit ihrem Geleit den tätigsten Antheil an jenen Kämpfen genommen hatten.  Der Weser entlang, wurden Bisthümer, Bremen, Verden und Minden, weiter gegen die Elbe vorgeschoben, Elze und Ilalberstadt gestiftet, um sie herum die edelsten Fränkischen Geschlechter mit weiten Landstrichen aurgestattet; so soll christliche Disciplin, vereint mit der stets bereiten Klinge des Edelmanns, die Ost-Grenzen des ungeheuren Reiches schätzen und festhalten.
    Wie in der Natur begründet, so bringen auch hier die Eroberer viele Gesetze und Sitten in die unterworfenen Lande, und wir sehen in raschem Uebergang die bis dahin hier allein geltenden Allodialverhältnisse des Grundbesitzes dem national-Fränkischen System der Mann-, Burg- und Hofleben weiche n. Bald zerfällt die ganze Laienbevölkerung in Freie und Unfreie.  Die Mächtigen und Reichen der Freien, d. h. derjenigen, welche niemand Anderem als dem ans ihrer Wahl hervorgegangenen Reichs-Oberhaupt untergeordnet waren, bildeten den Adel, der, im Fall er im Besitz der hohen Gerichtsbarkeit war, zum hohen Adel zählte, und zur Unterscheidung vom niederen Adel in allen Urkunden bis Ende des 14ten Jahrhunderts ausschliesslich mit der Bezeichnung "nobilis" aufgeführt wird. Die ärmeren Freien, denen ebenfalls zur Kaiserwahl zu erscheinen zustand, bildeten den Bauernstand und nahmen an der Gerichtsverwaltung Theil, wovon nach altgermanischem Recht jedweder Unfreie, mochte er sonst auch wohlhabend und einflussreich sein, ausgeschlossen blieb.  Die Unfreien standen in irgend einem Gehörigkeits- oder Dienstverhältniss einem Freien oder der Kirche, und zählte Niemand derselben in jenen ersten Zeiten zum Adel.  Als jedoch häufig Familien, selbst adligen Ursprungs, nicht allein bei sich verringerndem, sondern auch wegen sich mehrenden Vermögens, anfangs wohl einzelnen Heiligen und der Kirche, dann aber auch an Fürsten und Edle ihre Freiheit zum Opfer brachten und in deren Hofleben traten, um der Vortheile und des Schutzes eines mächtigen Herren theilhaftig zu werden, fing man gegen Ende des 13ten Jahrhunderts an, auch diejenigen Unfreien, welche begatert und einflussreich, Ministerialen mächtiger Herren waren, zum niederen Adel zu rechnen.  Mit dem gegen Ende des 14ten Jahrhunderts allmählig verschwindenden Ministerial-Dienstwesen, mit welchem für das Hoflehen ursprünglich stets ein erblicher Hofdienst als Truchsess, Schenk, Marschall oder Kämmerer verbunden war, wie für das Mannlehen die Verpflichtung zum Kriegsdienst, verliert die Ministerialität im Allgemeinen ihre sachliche Bedeutung, obgleich der Name derselben sich noch bis in das 15te Jahrhundert hinein erhält, und verwandeln sich die Hoflehen nach und nach, wohl meist durch Uebereinkommen, in Mannleben.  Dass dieser Verlauf die Regel, und diese, wie bei allen naturwüchsigen Zuständen, nach Ort und Zeit mannigfachen Ausnahmen unterworfen ist, erhellt aus vielen Beispielen jener Zeit.  So finden wir, dass auch schon Mitte des 13ten Jahrhunderte Edeleute, ohne sich ihrer Freiheit und ihres Adels zu begeben, Hof-Aemter bei geistlichen Herren annehmen, doch ist dies dann ein rein persönliches Verhältniss, während, wenn Ministerialität damit verbunden gewesen wiire, stets die Erblichkeit des betreffenden Amtes die Folge sein musste.  Die Majordomus der Merovinger liefern wohl einen glänzenden Belag für das Urfränkische dieses Systems der Erb-Hofbeamten.
    Diese Uebersicht der politischen Verhältnisse glaubte ich voranschicken zu müssen, um es zu erleichtern, hiernach die Zeiten, in welche hinauf in jenen Gegenden schriftliche Urkunden überliaupt nur reichen, beurteilen und manche von mir im weiteren Verlauf dieser Arbeit aufgeführten Thatsachen und Dokumente würdigen zu können.

Quelle : Krosigk, Rudolph, von : Nachrichten zur Geschichte des Dynasten- und Freiherrn Geschlechts von Krosigk, Berlin 1856